San Cristobal de las Casas
Reisebericht aus Chiapas, Mexico
Ich sitze auf der Dachterrasse unseres Hostels und die Sonne scheint mal wieder. San Cristobal liegt auf 2152 Meter Höhe im Hochland der Chiapas und ist von Bergen umgeben. Trotz der Höhe sieht es hier vergleichbar mit Tirol aus. Es wachsen Bäume aller Art und auf den Feldern gedeiht, was man zum Leben braucht.
Auf der Fahrt von Palenque war die Straße mehrere Stunden aufgrund eines Protests der Lehrer gesperrt, nicht von den Zapatisten wie wir ursprünglich gedacht haben und stimmiger gefunden hätten. Trotzdem hier gibt es offensichtlich ernstgemeinte Protestkultur. Noch vom heißen Palenque (ca. 190Km entfernt jedoch im Tiefland) aufgewärmt, wurde uns erst am folgenden Abend die Höhenlage in Form von bitterer Kälte bewusst. Meine Güte sind wir um unsere Schiunterwäsche inklusive Strickmützen froh. Also wieder etwas gelernt: auch in Mexiko kannst du dir den Arsch abfrieren und das angeblich das ganze Jahr lang. Nur zwei Monate ist es am Abend nicht ganz so kalt, dafür regnet es acht Monate im Jahr durchgehend.
Trotzdem hat für mich San Cristobal seine Reize. Erstens ist die Stadt überschaubar, auch wenn hier 250.000 Menschen leben. Ansonsten ist das Leben hier wirklich günstig. Eine Wohnung kostet im Monat ca. €200.-, unser Hostel €11.- mit Frühstück aber geteiltem Bad und mäßigem Internetanschluss. Einen gebratenen Fisch mit Beilage bekommt man für €3,50.- Das Bierchen kostet €1,3.-
Auch aufgrund der günstigen Lebenserhaltungskosten und weils einfach ansteht, entschließen wir uns hier eine der drei Spanischschulen für einen fünf Tage Kurs zu besuchen – das kostet ca. €100.- Als wir zur ersten Stunde um 9:00 hinschlendern ist Baby schwer nervös, weil sie immer noch der Meinung ist, dass ihr Spanisch schlecht ist. Ich meinerseits bin ganz locker und denke mir “super, jetzt lerne ich endlich das Minimum an Spanisch, das ich für die Reise brauche“. Diese Situation dreht sich während der ersten drei Stunden komplett. Auch wenn mir Spanisch nicht als schwere Sprache erscheint, schwirren doch jede Menge Vokabeln und Grammatikregeln durch den Kopf, welche mich erschlagen – noch bin ich optimistisch. Baby, die mit einem älteren Paar aus Kanada in einer Fortgeschrittenengruppe ist, ist relaxed. Im Laufe der Woche mache ich bekannte aber eine Weile zurückliegende Zustände von „scheiße, das geht mir alles zu schnell“ bis „ich will da heute nicht hingehen“ durch. Trotzdem habe ich das starke Gefühl, hier viel und gut zu lernen und freue mich darauf, nach San Christobal mit Baby weiter zu üben und lernen.
Unser Tagesablauf besteht darin, uns kurz vor acht aus dem mäßig warmen Bett zu quälen und uns bei 0 Grad im offenen Bad zu waschen. Anschließend gehen wir zum Frühstück, wo wir die Wahl zwischen Kaffee oder Tee, Toast mit der üblichen Erdbeermarmelade, Rührei, frischen Früchten mit Joghurt und irgendwelchen Zerealien haben. Danach gehts zur Schule, die um 9:00 beginnt und um 12:00 endet, weil wir uns für den regulären Kurs angemeldet haben und nicht 6 Stunden am Tag lernen wollen. Danach bin ich platt und brauche Zeit um meine Hausübung zu machen und meine Notizen in Schönschrift, geordnet in mein Schulheft zu übertragen. Danach unternehmen wir Kleinigkeiten, wie das Museum des Kaffees besuchen (leider extrem schlecht – hier könnten die mit etwas mehr Einsatz und Kreativität wirklich viel Geld verdienen) oder uns den unglaublichen Markt ansehen.
Der Markt ist insofern unglaublich, als es hier alles gibt und ich meine ALLES! Meiner Meinung nach, haben alle Einkaufszentren von Innsbruck zusammen ein kleineres Angebot als dieser Markt. Wir sehen Frauen, die gerade lebende oder nicht mehr ganz so lebende Truthähne nach Hause tragen, fangfrischen und getrockneten Fisch, Blumenläden, Elektroläden mit unfassbar großen Lautsprechern, Kleidung, Medikamente, Baumaterialien, Werkzeug und unbekannte Früchte, wohin das Auge reicht. In der Markthalle selbst bekommt auch die Geruchskomponente eine neue, heftige Intensität. Wenn der Lonely Planet den Markt als Abenteuer auf die Sinne beschreibt, schließe ich mich dieser Aussage an – mir gefällts hier sehr gut.
Fotografieren stellt mich hier vor eine moralische Frage, denn die HändlerInnen lassen sich nicht gerne fotografieren, obwohl ich brav meine „puedo tomar un foto“- Frage aufsage. Hier gilt noch weitläufig die Auffassung, dass ein Foto die Seele raubt. Also mache ich nur einige wenige Fotos von Leuten, die mir die Erlaubnis geben, zumindest ihr Warenangebot zu fotografieren und einige allgemeine Fotos, von denen ich hoffe, niemandem zu Nahe zu treten.
Wegen dem mäßigen Internetanschluss sehen wir uns gezwungen, auf unsere momentane Lieblingsserie „How i met your mother“ zu verzichten und gehen zweimal ins Kino, welches mit €1,8.- pro Person zu Buche schlägt. Am ersten Abend sehen wir einen mexikanischen Sciencefiction Ficition Film, der Baby langweilt, am zweiten Abend ziehen wir uns die Chronik der Zapatisten rein.
1994 hatte es die arme Landbevölkerung der Chiapas satt, von der mexikanischen Regierung schlecht behandelt zu werden. Soweit ich es verstanden habe, ging es neben der schlechten Versorgung mit Schule, Information und Medikamenten auch um wirtschaftliche Gründe. Es dürften hier Landenteignungen stattgefunden haben, die den Bauern ihre Lebensgrundlage entzogen. Am Tag des NAFTA Abkommens besetzten die Zapatisten mehrere wesentliche Städte um ihre Forderungen vorzubringen. Darauf hin entspann sich ein Bürgerkrieg, der ca. 13 Jahre dauerte und eigentlich noch nicht zu Ende ist. Einige Forderungen der Zapatisten wurden erfüllt, andere nicht, trotzdem ist erstmals Ruhe und niemand weiß so genau, was die Zapatisten momentan machen oder planen. Was mir an den Zapatisten und den Dörfern der Chiapas auffällt, ist, dass es viele Zusammenschlüsse, sei es wirtschaftlicher, kultureller oder ideologischer Art gibt, die überall zu finden sind. Es gibt Vereinigungen von Kaffeeröstern (die einen hervorragenden Kaffee produzieren), Kollektive von Frauen, die fantastische Bücher und Zeitschriften herausgeben sowie Lokale, die von Zapatisten geführt werden. Nochmal kurz zurück zu den Aufständen: als irgendwann der Waffeneinsatz nicht mehr genügte (auch wenn ich nicht den Eindruck habe, dass allzu viel Blut geflossen ist), sich paramilitärische Gruppen gebildet haben, die das Ganze noch chaotischer machten, formierten sich Frauen, um in ihren schönsten Kleidern an die „Front“ zu gehen und liedersingend das Militär dazuzubewegen, sich zu verpissen. Die Frauenbewegung zeigt sich immer noch in Logos von vermummten Frauen und den vorher erwähnten Büchern und Zeitschriften, die starke feministische Texte enthalten.
Am Samstag ist es arschkalt und nachdem wir den Markt besucht haben, schlägt Baby vor ein Colectivo nach San Juan Chamula zu nehmen. Eigentlich keine allzu verlockende Vorstellung, von den 0 Grad die hier herrschen, nochmal gute 200 Meter an Höhe zu gewinnen aber wir sind ja nicht zum Spaß, sondern der Bildung wegen hier. Schon sitzen wir im Colectivo, was so etwas wie ein Sammeltaxi darstellt und uns um unfassbare 14 Peso in den Ort bringt. Dieser Ort ist darauf bedacht, sich seine Eigenständigkeit, Kultur und Religion zu bewahren, vielleicht mehr als sonstwo in der Gegend. Hier gilt fast überall Fotografierverbot mit der Androhung von „Konsequenzen“, was sich mehr nach körperlichen als nach finanziellen Strafen anhört. Wir besuchen einen für mich überraschenden Tempel, der eigentlich wie eine Kirche aussieht. Der Boden ist mit Piniennadeln ausgelegt. An den Wänden reiht sich eine Heiligenstatue neben die andere. Davor sitzen Familien auf dem Boden und opfern Hähne, Kerzen und allerlei Zeugs, während sie scheinbar nette Gespräche führen und Pox trinken. Pox ist der hier übliche Schnaps aus Mais, mit dem wir in Kürze unseren Flachmann füllen werden. Am Eingang des Tempels fragt uns eine Frau unbestimmbaren Alters etwas, das Baby als „wollt ihr eine Kerze kaufen“ deutet, auch wenn uns der Preis von 150 Peso (€9.-) sehr hoch vorkommt. Wir handeln die Dame auf 100 Peso herunter. Wir gehen mit ihr zu ihrem Haus, das sich in der Nähe befindet um wenig später eine traditionelle, spirituelle Reinigung zu erfahren. Die Frau fühlt unseren Puls und wählt aus dem Ergebnis eine Anzahl weißer und bunter Kerzen aus, die sie vor uns auf den Boden stellt. Davor befindet sich ein Kreuz mit Jesus, welcher von Gottvater am Kreuz gehalten wird und eines jener grünen Kreuze, die hier überall zu finden sind. Anschließend murmelt die Dame Gebete auf Tzotzel, einem alten Maya-Dialekt. Wir werden mit gut riechenden Büschen gebürstet, anschließend kommen auch Eier und der gute Pox ins Spiel, bevor sie erneut unseren Puls misst und zufrieden unsere vollendete Reinigung verkündet. Es stellt sich heraus: 100 Peso pro Person. Es war eine überaus interessante und intime Erfahrung, die uns darüber hinaus gelernt hat, dass es manchmal ganz gut ist, etwas misszuverstehen.
Auch wenn es, wenn die Sonne scheint, schön warm wird und wir uns einen saftigen Sonnenbrand holen, sind wir doch sehr angetan, als wir eine Tour zu einem Canyon buchen, der auf 400 Meter Seehöhe liegt. Hier herrschen die Klimaverhältnisse, die wir uns von Mexiko erwarten.
Der Canyon ist ein aufgestauter Fluss, der nach 42 Kilometern an einer Staumauer endet, bevor er durch ein eindrucksvolles Naturschutzgebiet umgeben von bis zu 1000 Meter hohen Felsen fließt. Nachdem eine Fahrt von einem zum anderen Ende inklusive vieler Stopps um Krokodile, Vögel aller Art und Affen zu sehen, ca. eine Stunde dauert, sollte man sich über die Geschwindigkeit unseres Bootes einen Eindruck machen können. Nicht ohne Grund wird vor der Abfahrt das Boot mittels Umbesetzung der Passagiere austariert und darauf hingewiesen, Hüte und Kopfbedeckungen aller Art sicher im Rucksack zu verstauen. Wir sind uns nicht ganz sicher inwiefern sich Schnellboote und in der Sonne Siesta haltende Krokodile mit einem Naturschutzgebiet vereinbaren lassen. Gut sichtbar wird diese Diskrepanz, als wir in einer Bucht halten, wo im Felsen eine Madonna zu Ehren des Gründers des Naturparks errichtet ist, während um uns herum einiges an Müll treibt.
Als wir wieder am Ausgangspunkt angekommen sind, haben wir eine Stunde Zeit um die Kolonialstadt Chiapas de Corso zu besuchen. Wir sind im „alles was geht“-Modus und essen erst lecker Hamburger, wobei Baby das passende Bier aus einem benachbarten Geschäft besorgt. Anschließend rasen wir auf den Turm der Kirche, bemerken oben angekommen, dass wir unbewusst in den „Siesta“-Modus gewechselt haben und schießen hyperventilierend zwei Fotos, bevor wir wieder auf den Platz rennen um dort noch irgendetwas Koloniales zu fotografieren. Dann gehts wieder die lange Strecke von 400 Metern auf 2152 Meter nach Cristobal de las Casas, wo wir an einem brennenden Auto so nahe vorbeifahren, dass wir währenddessen einen kleinen Schweißausbruch haben – wieder etwas gelernt: Autos brennen heiß.
Nachdem wir ja schon einige Tage in San Christobal sind haben sich auch die meisten HändlerInnen und Kinder an uns gewöhnt und verschonen uns immer mehr mit Verkaufsavancen. Als Baby an einem Abend zum Yoga geht, hab ich frei und schlendere zum Hauptplatz wo sich jeden Abend das selbe abspielt: in einem erhöhten Pavillon lädt eine Band bestehend aus Marimbafon, Bass, Saxophon und Percussionspieler zum Tanz. Dieses Angebot wird vor allem von mittelalterlichen und älteren Paaren gerne genutzt. Es ist schön ihnen beim Tanzen zuzusehen. Es ist ihre Heiterkeit und Fröhlichkeit, die mich berührt.
Generell kann ich sagen, dass mich Mexiko neben den kulturellen, archäologischen und landschaftlichen Vorzügen besonders durch die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Leute besticht, eine Form, die ich zuhause oft vermisse. Als abschließendes Beispiel möchte ich einen Taxifahrer erwähnen, der nachdem wir eine Weile über den Preis einer Fahrt gehandelt haben, zum Schluss kommt, dass wir wenig Geld haben und uns einen Bus inklusive Abfahrtsort und -zeit empfiehlt, nicht ohne ein freundliches Adios, hasta luego.
Unsere Tage in San Cristobal de las Casas neigen sich dem Ende zu. Morgen haben wir unsere letzten Spanischstunden und dann wird es Zeit Bustickets zurück nach Palenque und dann weiter nach Flores in Guatemala zu besorgen. Es war ein wundervolles Monat in Mexiko, das uns noch oft einladen wird, mehr von ihm zu sehen. Gracias Mexiko!